TurnschuheIch wünsche Ihnen von Herzen, dass das noch neue und  jungfräuliche Jahr Sie vor Trugbildern und Irrtümern bewahren möge, dass es ein wirklich gesunden und gelingendes, im wahrsten Sinne des Wortes gutes und gesegnetes mögen werde.

Warum spreche ich gleich zu Beginn dieses Blogs von Trugbildern und Irrtümern? So sicher wie das Amen in der Kirche und gute Neujahrswünsche, so wird der Beginn eines jeden neuen Jahres auch zum Anlass genommen, sich Vorsätzte zu machen und sich zu schwören, diese gewiss und ganz bestimmt dieses Jahr dauerhaft zu realisieren, als im vergangenen Jahr. „Ich will gesünder essen.“ „Ich werde mehr Sport treiben, mich mehr bewegen.“ „Dieses Jahr nehme ich ab.“ Das sind die Spitzenreiter auf der Hitliste der guten Vorsätze. Die Discounter locken mit Fitnessgeräten für zu Hause, Trainingsmatten für den heimischen Fußboden oder den Fitnesskurs im Studio gehen weg wie warme Aufbacksemmeln; Zeitschriften kurbeln ihren Absatz nach den Festtagen mit Diäten und Schlank im Schlaf Parolen an und in Apotheken finden Schlankpülverchen und Co. dankbare Käufer. Alle Jahre wieder dasselbe Lied und doch oder gerade deshalb ändert sich nichts. Hartnäckig halten sich Irrtümer und wir haben die Ewige Wiederkunft des Gleichen (Nietzsche) . Zeitgleich erschien dieses Jahr der Gesundheitsberichts des Bundes und zeigt noch ganz andere Facetten des Gesundheitswahns und des Gesundheitsdesasters: Auf der einen Seite wird verlautbart, dass rund 3/4 aller Erwachsenen Ihren Gesundheitszustand als gut bis sehr gut ansehen, auf der anderen Seite lesen wir, dass die Empfehlung der WHO sich zumindest 1 Stunde täglich zu bewegen noch immer ein Wunsch ist und dass 40% der Deutschen nur noch mehrmals wöchentlich selbst den Kochlöffel schwingen, sprich den zentralen Lebensbereich „Essen“ mehr und mehr in fremde Hände abgeben und die Wertigkeit dieser zentralen Aufgabe des Lebens abnimmt. Menschen „fühlen“ sich nicht krank und setzen andere Prioritäten, als etwas „für ihre Gesundheit“ zu tun…

So verwundert es nicht, dass Vorsätze bloße Lippenbekenntnisse bleiben und noch ehe der Januar zu Ende gegangen ist, sind sie wieder Schnee von gestern und Mensch zum Gewohnten übergegangen.

Und mal Hand auf´s Herz. Es geht nicht nur anderen so, sondern auch uns selbst. Wir handeln erst, wenn der Dachstuhl brennt.

In meiner Praxis sitzt ein Manager, der einen Schuss vor den Bug bekam. Diagnose Herzinfarkt. Jetzt will er endlich abnehmen und mehr Sport treiben. Das hat er sich seit Jahren in den stressigen Jobs immer vorgenommen, hat auch jedes Jahr angefangen, aber nichts durchgehalten. Dieses Mal will er es anders machen und wünscht Unterstützung.
Da ist die weibliche Führungskraft, die mir schreibt, dass sie die letztjährigen Vorsätze immer wieder erfolgreich zu den Akten legte und jetzt endlich professionelle Unterstützung nehmen möchte um weiter zu kommen, um mit dem Selbstbetrug endlich aufzuhören, alles alleine schaffen zu können und alles ja ach so einfach ist und alleine lösbar (man ist ja nicht dumm).

Mich hat meine Gesundheit gegen Ende des Jahres auch im Stich gelassen. Plötzlich hatte ich Taubheitsgefühle in Arm und Bein, kribbeln im Rücken. Ja, ich wusste, ich hatte mich im Advent körperlich überanstrengt (diverse Weihnachtsmärkte, ein- und ausladen, Waren schleppen etc.) und fürchtete Schlimmeres. Auch ein befreundeter Physiotherapeut riet mir zum Arzt zu gehen. Es könnten schon die Bandscheiben sein und wir beide haben auch etwas neurologisches nicht ausgeschlossen, wir sind ja vom Fach. Doch es waren weder die Bandscheiben, noch ein Vorbote eines Schlaganfalls. Es war rein muskulär! Von Null-Bewegung auf Vollgas (man sitzt in meinem Beruf schon ziemlich viel und für Sport ist ja so gut wie keine Zeit mehr), haben meine Rückenmuskeln nicht verkraftet und mir Taubheit in Arm und Bein beschert. Schöne Bescherung so kurz vor Weihnachten.

Doch jetzt kommt es, worum es mir im heutigen Blog geht.
Natürlich ging ich zur Physiotherapeutin und ich war bass erstaunt. Einfachste Übungen, winzige Bewegungen ohne Hanteln, ohne Hilfsmittel haben mich unglaublich angestrengt. Wer mir zugeschaut hätte, hätte keinen Sport gesehen und keine hektischen Bewegungen, er hätte volle Konzentration gesehen, kleine Bewegungsmuster, die aber hoch effektiv sind, weil sie das Muskelproblem an der Wurzel anpacken. Und er hätte noch etwas gesehen. Ohne Physiotherapeutin hätte ich mich um meine eigene Schmerzgrenze herumgemogelt, hätte die Bewegungen anders gemacht, wäre ausgewichen. Es hätte „leichter“ ausgesehen.
Und das bemerkte ich zu Hause auch. Bei der Physiotherapeutin waren die Übungen unglaublich anstrengend, es tat weh, zu hause war ich beim alleine machen weniger gefordert und erschöpft. Es fiel mir Schwerer meine eigenen Grenzen zu überwinden, als mit der Physiotherapeutin und noch etwas fiel mir auf.
„Du musst jede kleine Übung konzentriert vorbereiten“ sagte meine Physiotherapeutin zu mir. Der Unterschied war deutlich spürbar. Habe ich die kleinste Übung nicht 100% konzentriert vorbereitet, schlichen sich sofort Fehler ein und die Übung war nicht mehr im gleichen Maße effektiv.

Weshalb also sind Vorsätzte Irrtümer?

Wir suchen nach einer großen Lösung (mehr Sport treiben) und übersehen, dass wir mit kleinsten Schritten weiterkommen.

Wir erkennen nicht den Unterschied zwischen Ziel (ich will abnehmen) und dem Weg (was muss ich dafür genau tun und unterlassen)

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und tut alles dafür, dass es so bleibt, wie es ist, denn das Gewohnte ist in höchstem Maße unbewusst sinnvoll.

Der Nutzen muss stimmen. Etwas Gewohntes zu ändern wird nur in Kauf genommen, wenn der Nutzen größer ist, als der betriebene Aufwand, weil der Mensch ein Ziel orientiertes Wesen ist und nur tut, was GUT tut. Der Haken: Am Anfang TUT es nicht gut, das heißt dass Mensch anfangs am sich schlechter fühlen (das tut aber weh; das schmeckt mir aber nicht so wie das alte, den Teller doppelt zu füllen macht aber mehr Spaß) seine Fortschritte bemerkt! Und das wird in der Regel verschwiegen.

Um das Gewohnte also tatsächlich verlassen zu können, kann es keine „einfache Lösung“ geben, denn wir würden alles dafür tun, dort aufzuhören, wo es beginnt „weh zu tun.“
Da exzessive Sportvorsätze, Diäten und Wunderpillchen .scheinbar so einfach sind, aber auf Dauer doch weh tun (keine Zeit, Einschränkung beim Essen, Geld-Nutzenaufwand gering), verlässt Mensche seine guten Vorsätze schnell.

Gerade in den zentralen Lebensthemen Essen und Bewegen ist es ohne professionelle Hilfe, für den Blick für´s Detail fast nicht möglich, die eigenen Begrenzungen a.) zu erkennen und b.) zu überwinden. Mensch braucht Mensch um tatsächlich die notwendigen Schritte zu tun.

Ich glaube der Mensch benötigt einen gewissen „Leidensdruck“, einen kleinen Schmerz, eine Einschränkung seines gewohnten Lebens, damit er aktiv wird, denn an der ABwesenheit dieses Leids erst, kann er erkennen, dass es sich lohnt etwas zu tun. Sprich: Wo kein Leid, da wird der Mensch nicht weitermachen, denn das Tun ist im wahrsten Sinne kaum „spürbar“ und damit sinn- und zwecklos. Er wird sich nur dann besser fühlen, wenn er sich vorher weniger gut gefühlt hat. Fühlt er sich aber schon gut und das „gesunde Essen“, „der Sport“ etc. fühlt sich nicht so gut an, dann hört er damit auf.

 

Und was geschieht, wenn ein kleiner Leidensdruck da ist und das Tun, die konzentrierte Handlung der kleinen Schritte gelingt? Es benötigte nur wenige Tage des hochkonzentrierten Trainings, scheinbar banalster Übungen – nichts spektakuläres und siehe da: Die Taubheit ist verschwunden, die Schmerzen auch und die Übungen fallen mir mittlerweile leichter.

Und – ganz ohne Vorsätze, ganz ohne spektakuläre Ziele und mit kleinen Schritten, sind die obigen Menschen in wenigen Sitzungen wahrscheinlich ihrem Ziel näher gekommen, als zuvor.

In diesem Sinne: Ein gesundes Neues Jahr OHNE Vorsätze, aber dem Mut, sich bei zentralen Themen „Essen und Bewegen“ professionelle Unterstützung zu holen, damit das Tun in kleinen Schritten Teil des eigenen Lebens werden kann, statt große Ziele künstlich gewaltsam auf Zeit dem eigenen Leben übergestülpt werden. Und die Disziplin gerade dann weiterzumachen, wenn es beginnt weh zu tun 🙂