Trauer und Tod – (k)ein Tabuthema

Trauer und Tod – (k)ein Tabuthema

KreuzEin Mann mit Reizdarmsyndrom sitzt bei mir in der Praxis. Wir schauen genauer hin, seit wann er Verdauungsprobleme hat und was in dieser Zeit passiert ist. Plötzlich bricht es aus ihm heraus. Als er 15 Jahre alt war, hat es angefangen mit den Bauchschmerzen, mit den Darmproblemen…..Sein großer Bruder hat sich erhängt – ein Geschehnis in seinem Leben, das er gut verdrängt, aber nie verdaut hat.

Bei mir sitzt eine kluge, Frau mit einer Essstörung. Sie ist in Führungsverantwortung, und möchte ihre Essstörung, die sie seit fast 7 Jahren mehr oder weniger mit sich trägt endlich „in den Griff“ bekommen. Auch hier ist der Zeitpunkt wichtig. Sie war 14 Jahre alt, als ihr Vater von heute auf morgen starb. Nie hat sie wirklich getrauert sondern hat statt dessen versucht, all ihre Gefühle in den Griff zu bekommen….

Ein drittes Beispiel kommt aus dem Coaching. Da fragt mich eine Führungskraft doch ernsthaft, ob er seinen Mitarbeiter, der kürzlich seine Frau verloren hat und jetzt mit den Kindern alleine ist, auf den Krebstod ansprechen soll und wie er das machen soll und fragt, ob ich für ihn Psychotherapie empfehlen würde, ob er ihn freistellen solle, oder ihn arbeiten lassen solle…..obwohl er momentan kaum in der Lage sei, genügend Leistung zu bringen.

Sind wir wirklich schon so weit, dass wir den Rat eines Coachs benötigen, um solche Fragen des Lebens zu beantworten? Mich macht das fast sprachlos, denn wieso sollte ich besser und klüger darauf antworten können, als der Betroffene selbst? „Geht es dir besser, wenn du arbeiten kommst, oder möchtest Du eine kleine Auszeit?“ Das wäre doch eine menschliche Frage, die jeder stellen kann….Oder einfach folgendes:  „Ich weiß nicht wirklich, was ich sagen soll, mir fehlen einfach die Worte. Das was Du momentan durchmachst, macht auch mich betroffen. Gibt es etwas, was ich für Dich oder die Kinder tun kann? Welche Art von Unterstützung würde dir helfen?“

Doch statt dessen sind Viele mit dem Tabu-Thema Tod überfordert, verfallen in Sprach- und Fassungslosigkeit und Verdrängen, was da ist…oder – machen daraus das, was gesellschaftlich wohl eher passend ist….Aus einem Trauerprozess wird eine psychische Erkrankung….

Dieser Tage „outet“ sich Prince Harry, dass er sich psychologische Unterstützung holen musste, weil er den Tod seiner Mutter nicht verwinden konnte und Prince William, gibt ebenfalls zu, dass dieses Ereignis noch immer in seinem Leben ist…. William war 16 Jahre alt, Harry 12 Jahre.
Sowohl Harry, als auch William sprechen von „Psychischen Erkrankungen“, doch das möchte ich so nicht unterschreiben! Traurigkeit und Trauer ist ein UR-Gefühl aller Menschen…..nicht mehr, aber auch nicht weniger…

http://www.telegraph.co.uk/news/2017/04/16/prince-harry-sought-counselling-death-mother-led-two-years-total/
http://www.focus.de/kultur/vermischtes/prinz-william-der-tod-seiner-mutter-schockt-ihn-bis-heute_id_6985618.html

Traurigkeit ist wie Freude eines der grundlegendsten Gefühle des Menschen. Menschen lösen bei anderen Menschen durch ihr trauriges Gesicht und die Tränen seit Urzeiten MITgefühl aus und den Impuls zu trösten….So war es zumindest, so lange der Tod nicht aus dem Leben verbannt wurde, sondern mitten im Leben unter uns und mit uns war…..

Ich selbst habe es vor ein paar Wochen erlebt, was der Tod, der mitten ins Leben einfällt, mit Menschen macht. Anstatt mit uns zu trauern, zu weinen, sich zum trauern zu treffen, weh zu klagen, sich alte Geschichten zu erzählen, Fotos anzuschauen, gemeinsam zur Kirche und in den Gottesdienst zu gehen, anschließend die ganzen Rituale auf dem Friedhof mitzumachen und nachher, wie es sicherlich im Sinne des Toten gewesen wäre – wieder zusammen zu sitzen, zu essen, zu trinken, zu reden, zu weinen, zu lachen und damit über viele, viele Tage das Unfassbare zu begreifen, zu verwinden, haben sich viele Menschen anders entschieden.

Sie blieben im „stillen Kämmerlein“, blieben für sich und alleine, sprachen nicht, gingen nicht zur Kirche und auch nicht zur Beerdigung. Sie blieben fern und schwiegen, denn das Leben musste ja weitergehen….möglichst schnell und geräuschlos….man konnte sich keinen freien Tag fürs beerdigen leisten?

Und wir anderen?
Wir trauerten, viele Tage, viele Wochen, immer wieder, sprachen viel über den Verstorbenen, lernten damit umzugehen, dass dieser Mensch nicht mehr ist, wo er war, aber jetzt überall wo wir sind und es an uns ist, sein Vermächtnis weiterzutragen, ihn zu ehren….ja, wir galten als die „Emotionalen“ bisweilen „Hysterischen“….

Ach ja? Ich glaube, wer sich nicht erlaubt zu trauern, seine Gefühle verdrängt, anstatt sie zu leben, der verlängert seine Trauerphase, er lässt nicht wirklich los und spürt nicht die Kraft die entstehen kann, wenn der Übergang zwischen LOSlassen und in sich tragen des Verstorbenen gelingt….

Und ich kann mich daran erinnern, als mein Sohn am Bett seines hirntoten Opas saß – stundenlang saßen wir bei ihm und redeten, weinten, beteten. Erst nach einer gefühlten Unendlichkeit sagte er. „Mama ich glaube es ist jetzt gut. Jetzt kann ich den Opa gehen lassen – es geht ihm gut, dort wo er jetzt ist und…jetzt ist er ein Teil von mir.“ Und viele Tage und Wochen später sagte er, dass es für ihn viel schlimmer gewesen wäre, nicht bei seinem Opa gewesen zu sein, keinen trauernden Abschied zu nehmen….

Ich denke das Verbannen des Sterbens und des Todes aus unseren Häusern, das fehlende Wehklagen, das zu Hause sterben, zu Hause aufbahren während das Leben weitergeht, dieses Wegfallens eines natürlichen Umgangs mit dem Tod zu üben – das ist ein Teil der modernen Unmenschlichkeit…..Es hilft nicht, sondern macht es Schlimmer….

Noch mehr….Trauern, der Umgang mit dem Tod wird heute einfach zur psychischen Erkrankung erklärt, die kuriert werden muss?  Mitnichten! Und das dürfen wir nicht zulassen, dass auch nur annähernd so gedacht wird.

Für mich ist das NICHT-trauern können und Gefühle verdrängen, krank machend und das Zulassen der „alten Trauer“ ein Geschenk, das sich Betroffene selbst machen, es heißt wieder lebendig zu sein und lebendig zu leben…..

Dazu benötigt es meiner Ansicht aber keine Psychotherapie, sondern eine Art MITmenschliche SEELsorge….Das kann ein Geistlicher sein, ein Mensch, der sich so eine Trauerbegleitung zutraut, ein Coach/Berater….ein MITfühlender, tröstender MITmensch.

Liebe MITmenschen….bitte glaubt nicht, dass Ihr psychisch krank seid, wenn Euch die Traurigkeit über den Verlust eines geliebten Menschen überkommt…..Es gibt sogar nachweislich the „broken heart syndrom“ – sprich das gebrochene Herz….All das bedeutet doch nur, dass Ihr Menschen seid und für denjenigen, der gegangen ist, sehr viel empfunden habt…..DAS ist keine Krankheit, sondern aufrichtige Liebe…..Die Trauer kommt und geht, sie kommt in Wellen, ist mal da, mal weg; mal überwiegt die Dankbarkeit mal die Traurigkeit über den Verlust; mal erinnern wir häufig, mal wieder seltener…..
Doch tot, wirklich tot ist jemand nur, wenn niemand mehr an den Verstorbenen denkt…..denn Gedenken (und dazu gehören manchmal auch ein paar Tränen) ist unsere Liebe….

Lassen wir es nicht zu, dass der Tod zum Tabu-Thema wird und das Trauern zur psychischen Erkrankung…Machen wir es vielleicht wie in anderen Kulturen, damit wir uns der Schönheit des Lebens gewahr bleiben….und jeden Tag geniessen und jeden Moment als wertvolles Geschenk betrachten können…
http://www.deutschlandfunk.de/gespraechskultur-tabuthema-tod-bei-kaffee-und-kuchen.886.de.html?dram:article_id=269733

 

Und wie geht es meinen Klienten heute? Herr S. hat durch die Trauerarbeit einen ganz anderen, neuen Zugang zu sich und seinen Gefühlen und damit zu einem Wohlergehen gefunden und Frau K. – Dadurch, dass Sie sich endlich von Ihrem Papa verabschieden konnte, ihn endlich gehen lassen konnte, ihn in sich aufnahm, spürte Sie nach vielen, vielen Jahren wieder, was da is(s)t….Alle Gefühle, die angenehmen und unangenehmen – aber egal – sie spürt, dass sie lebt und nicht nur existiert….Ihr Essverhalten hat sich vollständig normalisiert….

 

Oh Herr gieb jedem seinen eignen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.
Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht,
um die sich alles dreht. (R.M. Rilke)