Raus aus der Kreativblockade

Raus aus der Kreativblockade

Berlin 081Hilfe – mir fällt nichts ein! Ich sitze vor meinem Blog, der längst geschrieben sein sollte, doch mir fällt nichts ein. Das kenne ich sonst  nicht. Man sagt mir nach, dass meine Kreativität wohl für drei komplette Leben reichen würde und man mich wohl erst beerdigen muss, bis ich aufhöre, kreativ zu sein.

Bin ich etwa bereits gestorben, dass mich diese unkreative „mir fällt absolut nichts ein“ Phase bereits seit vielen Wochen belastet? Was ist bloß los? Diese Kreativblockade möchte ich zum Anlass nehmen, hier ein paar Gedanken zum Thema „Kreativität“ und „Muße“ zu äußern und mit Ihnen, werten Lesern, zu teilen. Ich möchte mich mit Ihnen darüber  auszutauschen was Menschen brauchen, um klare Gedanken zu fassen, um kreativ zu sein oder es zu bleiben.

Unsere Welt wird immer komplexer, dichter. Immer schneller scheint sich die produktive Welt zu drehen. Die Menschen hetzen, rennen ihrer Arbeit, ihrer Zeit, auch der freien, manchmal sogar ihrem Leben hinterher. Sie „kommen“ zu nichts mehr, fühlen sich erschöpft und ausgebrannt. R. Sennett nennt diese Welt den „mp3-Kapitalismus“ und meint damit, dass vom Arbeitsmenschen nicht mehr das Erlernen eines Handwerks gefordert wird, das zur Präzision gebracht wird, sondern die Fähigkeit, sich ständig auf neue Gegebenheiten einzulassen. Doch ist das möglich? „Ich habe die Kontrolle über mein Leben verloren“ heißt es manchmal in den Coachings. „Mir fehlt es an Zeit“ oder „Ich funktioniere nur noch“, oder „Ich halte diesen Druck nicht mehr länger aus,“ sind weitere Aussagen, die ausdrücken, was Menschen heute „blockiert“. Meist bleibt es bei einem sehnsüchtigen: „Man müsste mal wieder“.

Doch ist es die ZEIT, die fehlt? Haben wir überhaupt ZEIT? Oder fehlt es vielleicht eher an Muße?
Ist es vielleicht sogar die Muße, die Menschen hoch kreativ macht, vielleicht sogar leistungsfähig hält?

1. Kreativität braucht Muße

Jüngst las ich, dass eine Studie herausgefunden hat, dass Ruhepausen, Mittagspausen die „Produktivität“ drastisch einschränken. Ein Leser meines Kommentars meinte darauf: „Machen wir uns darauf gefasst, dass bald Pausen ganz abgeschafft werden, weil sie die Produktivität stören.“
So weit hergeholt ist das wahrscheinlich gar nicht, wenn man das „Leistungssubjekt“ nur noch unter dem Gesichtspunkt der Produktivität betrachtet.

Doch was geschieht, wenn Menschen zeitlich und von finanziellen Zielen permanent unter Druck geraten? Was, wenn sie gezwungen werden, nur noch zu „funktionieren“? Was geschieht, wenn Menschen vom Leben so dermaßen gefordert werden, dass sie an ihre „Leistungsgrenze“ kommen?
Das habe ich die letzten Wochen leibhaft am eigenen Leibe erfahren! Das Schicksal schlug im Privaten hart zu und seitdem ertappe ich mich, wie auch ich häufig nur noch funktioniere. Mir kommt es vor, als jonglierte ich mit vielen Bällen gleichzeitig und nur damit beschäftigt, dass kein einziger runterfällt. Mir scheint, dass mir „keine Zeit“ für etwas anderes bleibt. Habe ich sie nicht, oder nehme ich sie mir nicht?  Die Antwort ist einfach und doch manchmal so schwer zu realisieren…

Was ist mit all den vielen Menschen, die sich bei der Arbeit „ausgebeutet, getrieben, verheizt“ fühlen? Sind sie Opfer oder Täter oder beides zugleich? Warum gibt es im Land der Dichter und Denker immer weniger Neues? Wozu brauchen wir „Kreativ-Workshops“ und „Kreativseminare“? Glaubt man ernsthaft daran, dass Kreativität herstellbar/machbar/erzeugbar ist? Weshalb wird für den „Ideenklau“ heutzutage so viel Energie und Geld ausgegeben, anstatt sich Kreative ins Haus zu holen und Ihnen Raum zum arbeiten zu geben? Auch DENKarbeit ist Arbeit! Könnte es daran liegen, dass die heutige Arbeitswelt nicht gerade geeignete Rahmenbedingungen für ein kreatives Schaffen bereithält?

Wir wissen aus vielen Studien: Wer zu viele Dinge gleichzeitig macht, macht nichts wirklich gut. Wer multitaskt, ist nicht produktiv, sondern unfähig sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Wir wissen, dass Druck nicht die Leistung steigert, sondern diese und die Gesundheit gefährdet. Wir wissen, dass die Verdichtung und Beschleunigung von Arbeit weder zu besseren Ergebnissen, noch zu klugen Einfällen führen. Wir wissen, dass die Dauerkommunikation und der Ruf nach Transparenz nicht das bewirkt, was man sich dadurch erhoffte. Wir wissen, dass nur die Muße zu wahren FREI-Räumen verhilft, die frei machen und Neues zuLASSEN.  (Neuer Sonderforschungsbereich an der Philosophischen Fakultät in Freiburg: MUSSE). Prof. G. Figal spricht in diesem Zusammenhang von: „Muße als Schlüssel zum Verständnis des Lebens selbst.“

Kann es folglich sein, dass es ohne Muße keine Kreativität gibt? Und was benötigt Kreativität, dass sie sich wieder ereignet?

2. Kreativität braucht ein LASSEN.

„Jetzt seien Sie doch mal spontan!“ Dieser Satz ist genauso grotesk, wie die Aufforderung: „Seien Sie doch mal kreativ.“ Kreativität funktioniert nicht auf Knopfdruck. Kreativität ereignet sich durch ein LASSEN, ein SEIN lassen, ein sich EINlassen auf eine Sache und ABlassen von Druck, Zwang und willentlichem ErSCHAFFEN. Muße braucht ZUwendung, hin zur Sache, ist ein erfülltes Tun, ein NACHdenken ohne Vorausschau, ohne Prognose. Kreativität geschieht folglich willenlos, nicht wollend, müssend, sondern stellt sich ein.

Je mehr Menschen keine Möglichkeit mehr gelassen wird, zu lassen, wenn nur noch leisten im Vordergrund steht und Ziele, je mehr nur noch Ergebnisse, Resultate zählen, je weniger kann der Mensch lassen und je weniger Neues entsteht. So jedenfalls sehe ich das und bemerke, während ich diesen Satz schreibe – ich bin wieder im LASSEN, nicht im MÜSSEN-Modus und es fühlt sich gut an. Zeit ist plötzlich wieder bedeutungslos, ich fühle mich FREI von Druck, FREI von Müssen, womit Kreativität wieder eine Chance bekommt, zu gedeihen.

Doch wo sind in Unternehmen diese FREI-Räume, wo wird dieses LASSEN unterstützt, wertgeschätzt?
Gerne höre ich von guten Beispielen in Ihren Unternehmen!

 

3. Kreativität braucht keine ZEIT, sondern einen Muße-Raum

Viele kreative Menschen erzählen mir, dass Ihnen die besten Ideen auf der Toilette oder im Bett einfallen. Manchen FÄLLT etwas EIN, während sie in der Badewanne liegen, oder joggen. Sie schlendern durch einen Park, durch einen Garten, sehen ein Bild, beobachten eine scheinbar belanglose Begebenheit und da ist sie – die Idee.

Mir geht es genau so. Doch was bedeutet das? Für neue Ideen benötigt es einen ungestörten Raum, einen Raum in dem wir einfach nur sind, einen Raum, der ein LASSEN erlaubt, dem SEIN an sich Raum lässt, einen Raum, der von sich aus STIMMT, uns in Stimmung bringt. Mensch, Sache und Muße-Raum sind in EinKLANG. Wir benötigen einen SpielRAUM, einen Raum für BeSINNung, einen Raum für Möglichkeiten. Muße ist räumlich, nicht jedoch zeitlich. In meiner Sprache ist die Muße ein FREI-Raum, keine FREI-Zeit (die widerum von der Arbeit/Leistung her definiert wird. Zeit ohne Arbeit).

Der Mensch jedoch schreit nach „Frei-Zeit“ und bemerkt nicht, dass ihm dies keinen FREI-Raum lässt. Sobald ein solcher Raum entstehen könnte, sich öffnen könnte, sich zeigen könnte, wird er häufig als „Langeweile“ abgetan oder kommentiert mit: „Hast du nichts zu tun?“ oder „wer nichts leistet, der ist faul.“ Was das für die Kreativität an sich und wie Prof. Figal es sagt, für das Verständnis des Lebens an sich bedeutet, das mag man sich nicht ausmalen.

Muße hat etwas contemplatives, etwas bewerstellendes, etwas gestaltendes.
Muße ist es, was Menschen fehlt, nicht Zeit und auch keine Freizeit.
Muße ist nicht nur für kreative Menschen ein „Grundnahrungsmittel“, es hilft uns, mit dem Sein, dem Leben, seinen Herausforderungen, der SinnFINDUNG in schweren Zeiten besser zurecht zu kommen. Das jedenfalls ist meine persönliche Überzeugung.

 

GeLASSEN gelassen

Ohne es zu wollen, konnte ich gerade in Muße sein, alles andere vergessen. Ich habe mir die Zeit nicht genommen, sondern mich ihr und der Sache hingegeben; habe gelassen und siehe da: Da steht ein Text, wo wochenlang ein leerer Bildschirm war…

 

Ihre Meinung interessiert mich:

1. Sind Sie kreativ?

2. Was benötigen Sie, um kreativ zu sein?

3. Wie gelingt es Ihnen, sich diesen FreiRAUM zu schaffen?

4. Wie und wo tanken Sie auf?
Literatur:

Kreativitätsforschung

Jahrbuch 2012 – Kreativität

Arbeitsbedingungen und Kreativität

Prof. Dr. Figal. Philosophischer Lehrstuhl, Freiburg – SFB (Sonderforschungsbereich Muße).
R. Sennett: Die Kultur des neuen Kapitalismus und Der flexible Mensch.
H. Arendt: Vita activa oder vom tätigen Leben.