BuchWie bitte? Microlearing ist ein neuer Trend in der Personalentwicklung? Lernstoff wird radikal zerkleinert, zerteilt, fragmentiert. Die Lernenden bekommen ein „Destillat“ an „Lerninhalten“ just in time vorgesetzt? Und erklärt wird dieser Unsinn damit, dass die Generation X „Ausschweifendes ablehnt? Kommt Multiple-Choice jetzt schon wieder? Ich fasse es nicht.

Wissensanhäufung hat nichts mit Lernen zu tun!

Da mühen sich Pädagogen seit Jahrhunderten ab, den Unterschied zwischen Lernen und Wissensvermittlung zu vermitteln. Da sagte bereits Mephisto, dass derjenige, der die Teile wohl in der Hand hat, ihm dennoch das geistige Band fehlt. Da suchen Firmen händeringend nach Menschen, die das „selbst denken“ nicht verlernt haben, sondern im Stande sind über Expertentellerränder zu blicken. Da werden händeringend „Kreative“ gesucht, die Welten verbinden können. Da wurden früher Literaten nicht müde zu erwähnen, dass es für echte BILDung Zeit benötigt (Bildung ist eine Lebensform. Sie ist die Kombination von Denken, Können und Wissen. K.Jaspers). Es gibt unzählige medizinische Studien, die mittlerweile belegen, dass es genau solche „Arbeitsbedingungen“ sind, die Menschen auf Dauer krank machen. Und Lernpsychologen sagen: „Aus lernpsychologischer Sicht wird Lernen als ein Prozess der relativ stabilen Veränderung des Verhaltens, Denkens und Fühlens aufgrund von Erfahrung oder neu gewonnenen Einsichten und des Verständnisses (verarbeiteter Wahrnehmung der Umwelt oder Bewusstwerdung eigener Regungen) aufgefasst.“  Effektivitätsstudien inbesondere im Executive-Coaching Bereich (1)  kommen zu dem Schluss, dass die Erfolge dort am größten sind, wo Menschen in „guten, vertrauensvollen Beziehungen“ sind. Und ich stimme meinem Lehrer zu: „Lernen ist eine gewisse Form des Lernen lassens.“ Zu unserer Art Lehre und lernen zu lassen, gehören nur wenige Methoden des Lernens. Das Mircolearning gehört aber definitiv nicht dazu.

Selbst die Erfinder dieses neuen „Lernformats“ (korrekterweise müsste es Wissensformat heißen), müssen eingestehen:

„Es geht nur darum Fakten, Definitionen und Abläufe zu vermitteln, oder für ein Thema zu sensibilisieren. Es ist nicht möglich ein bestimmtes Verhalten zu zeigen.“

Und Robelaire sagte: „Menschen sind keine Gefäße, die gefüllt werden, sondern Feuer, die entfacht werden.“ Und wem Multiple-Choice, Lernkarteien, Twitter-Nachrichten, SMS, Podcasts keine Unbekannten sind, der weiß, was davon „hängen bleibt“.

Doch die Erfinder des Microlearning wissen es offenbar besser: „Lernen und Erfolgsmessung passieren gleichzeitig. Es wird sichtbar, wie viel wirklich hängen geblieben ist“ (2)

Bulimielernen, passend zum Zeitgeist

Ausschweifendes wird von den Jüngeren abgelehnt, es besteht kein Interesse mehr an Tiefgang? Und der Mensch legt neuerdings mehr wert auf die „Zeit-Erlebnisökonomie“, will also in noch weniger Zeit, sich noch mehr Wissen einverleiben?

Mag sein, doch wo sind wir, wenn die Lernenden den Lehrenden vorschreiben, WIE gelehrt wird? Wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht? Irren sich hier nicht die Lehrenden, die Wissen mit Lernen gleichsetzen? Geht es überall nur noch um Brot und Spiele? Wird der Mensch jetzt vom Menschen selbst zum gefühllosen, nicht mehr denkenden Computer umgestaltet?
Wo sind die Gebildeten an den Schaltstellen, wo solche Entscheidungen getroffen werden?

Vorträge kürzer als 15 Minuten, Videos mit maximal  300-400 Worten, andere Microlearningformate fragmentiert bis zur nackten Wissensbotschaft, die nicht mehr als wenige Sekunden Zeit beansprucht und sofort mit einer „Erfolgskontrolle“ versehen wird? Das soll modernes Lernen sein?

Mir fällt dazu nur die Bulimie ein: Wissen fressen, bis zum Erbrechen. Alles in sich hineinstopfen, einfach Masse konsumieren bis man sich übergeben muss. Fressen als einzige Handlungskompetenz die touchiert wird, die Sache (Lernen/Essen) nur noch Ersatzbefriedigung, eine wahre Sättigung stellt sich nie ein, weil der echte Hunger auf (Bildung und mehr) einfach nicht befriedigt wird?

Wenn sich dieses Format, wie deren Erfinder voraussagen, durchsetzt an Schule, Universität und in der Personalentwicklung na dann passt für mich nur noch ein Satz: „Nur ein Gott kann uns retten. M.Heidegger“

tl;dr

Wer bis hierher gelesen hat, der scheint aber noch nicht wirklich „Wissens-Bulimie“ gefährdet zu sein, denn diese Abkürzung heißt: „Too long, didn´t read.“

Und sollten Sie als HR-Manager oder verantwortlicher Manager für Bildungsfragen, Fragen zu den Themen: Lernen und Bildung; nachhaltige Personalentwicklung, Gesunde Führung, ethische Führung haben, so freue ich mich, von Ihnen zu hören.

Ihre Sonja Mannhardt
Führungskräfteentwicklung & Gesundheitsmanagement
Phone: 07635-824847
E-Mail: Info@sonja-mannhardt.de

(1) Erik de Haan et al. „Greatest Ever“ Executive Coaching Outcome-Study. (Management Summary auf Anfrage) Oder lesen Sie den nächsten Blogbeitrag, hier.

(2) Constantin Gillies. Kleine Portionen, bitte. ManagerSeminare, 183, 6/2013, 56ff